Alltag Grüße aus Moskau

Katrin Scheib

Der 15-jährige Dmitrij lebt in der russischen Hauptstadt und geht dort auch zur Schule. Wir haben den Fußballfan einen Tag begleitet.

In Dmitrijs Heimatstadt Moskau und an zehn weiteren Orten in Russland findet in diesem Sommer die Fußballweltmeisterschaft statt. Für den 15-Jährigen ist das eine große Sache, denn er liebt Fußball sehr. Er guckt die Champions League und die Spiele der russischen Liga im Fernsehen an, von den Bundesliga-Vereinen gefällt ihm Bayern München am besten. Vor allem aber ist er Fan von Spartak. Das ist einer von vier berühmten, großen Fußballclubs in Moskau, dem bei jedem Spiel viele Tausend Menschen zujubeln. Spartak-Fans wie Dmitrij erkennt man daran, dass sie sich an Tagen, an denen ihr Verein spielt, Kleidung in den Farben Rot und Weiß anziehen – zum Beispiel ein Trikot oder einen Schal.

Der größte Fan

Dmitrij ist nicht der erste Spartak-Fan seiner Familie, erzählt er. „Der größte Fan von uns allen ist meine Oma. Die ist schon 80, aber sie ist so begeistert von Spartak, dass sie am Spieltag immer anruft. Und dann sagt sie: Dima, denk dran, heute spielt Spartak. Nicht, dass du das Spiel verpasst!“ Seine Oma sagt „Dima“, weil das die Kurzform von Dmitrij ist – so wie auf Deutsch Hanna für Johanna oder Max für Maximilian.

Nummer statt Name

Morgens um kurz vor 8 betritt Dmitrij ein Gebäude, auf dem die Zahl „1955“ steht. Das ist typisch für Russland: Die meisten Schulen haben hier keinen Namen, sondern eine Nummer. In einem kleinen Ort gibt es dann vielleicht die Schule Nummer 1, Schule Nummer 2 und Schule Nummer 3. Weil Moskau aber die größte Stadt in Russland ist, sind dort auch die Zahlen größer – wie eben die 1955.

Keine Klassenzimmer

Heute hat Dmitrij noch genug Zeit. Der Unterricht beginnt erst um halb neun. Also kann er in Ruhe in den Garderobenraum seiner Klasse gehen: Alle Schüler lassen ihre Jacken hier, damit sie sie nicht den ganzen Tag mit sich herumschleppen. Denn in Russland funktioniert das so: Nicht jede Klasse hat ihr eigenes Zimmer, sondern jeder Lehrer seinen Raum. Dort kommen jede Stunde andere Kinder zu ihm, die er dann dort unterrichtet.

Extra Schulschuhe

Im Winter gibt es in Russland viel Schnee und Schneematsch. In den Monaten von November bis März lassen die Schüler darum auch ihre schmutzigen Winterstiefel im Garderobenraum stehen. Sie ziehen stattdessen ein anderes Paar Schuhe an, das die ganze Zeit in der Schule bleibt – auch, wenn die Kinder nachmittags heimgehen. „Smjenka“ sagt man zu diesem Ersatzpaar.

Fünf in Mathe

Im Unterricht diskutiert Dmitrij gerne. Heute will er zum Beispiel von seinem Deutschlehrer wissen, was dessen Lieblingsband ist und was er von Face hält, einem berühmten russischen Rapper. Der Deutschlehrer antwortet: „Die beste Band ist für mich Motörhead, und mit Face kann ich gar nichts anfangen.“ Dmitrij kann gut Deutsch. Das Gespräch mit seinem Lehrer fällt ihm leicht, beide reden schnell. Das verstehen nicht alle Mitschüler. Überhaupt ist Dmitrij gut in der Schule: Nach dem Deutschunterricht bekommt er in der nächsten Stunde eine Mathearbeit zurück und strahlt: „Hat gut geklappt – eine Fünf!“ Das ist in Russland die beste Note, eine Eins ist die schlechteste.

Schwimmen als Lieblingsfach

Ob es auch Fächer gibt, die er nicht mag? „Klar“, sagt Dmitrij, „Chemie“. Er findet, dass das nur Leute brauchen, die später mal Forscher oder Arzt werden wollen. Am Sportunterricht dagegen stört ihn nur, wenn Stunden ausfallen. Denn Dmitrij ist nicht nur Fußballfan, sondern auch selbst Sportler. Er geht joggen oder trifft sich mit Freunden in der Turnhalle.

Aber am liebsten sind ihm die Tage, an denen er schwimmen geht. „Meine Lehrerin, Jelena Igorewna, war mal Olympiasiegerin im Synchronschwimmen“, erzählt Dmitrij stolz. Auch er hat beim Schwimmen schon einige Preise gewonnen. „Meine Lieblingsstrecke ist 50 Meter Kraulen, so richtig schnell. Da braucht man gleichzeitig alle Teile des Körpers,“ sagt er.

Beste Freunde

Nicht nur wegen des Sports geht Dmitrij gerne ins Schwimmbad: „Ich habe da meine besten Freunde gefunden, die mich verstehen und mit denen ich über alles reden kann.“ Die Freundschaften mit seinen Klassenkameraden sind ihm ebenfalls wichtig, auch wenn das nicht so enge Freunde sind. „Es gibt da so Gruppen – manche interessieren sich für Computerspiele, manche für Sport, manche für Mode. Aber wenn es wichtig ist, halten wir zusammen.“

Als Sportler achtet Dmitrij darauf, was er isst. „Joghurt und ein Wurstbrot, dazu etwas zu trinken, das ist mein Frühstück. Meine Eltern sind beide berufstätig und haben keine Zeit, mich zur Schule zu fahren“, sagt er. „Also fahre ich mit dem Bus und gehe dann noch ein Stück zu Fuß.“

Gelbes Tablett mit Leckereien

Zur Mittagszeit gehen alle Schüler in die Mensa, einen hellen Raum im Erdgeschoss. Jeder nimmt ein gelbes Tablett, jeder stellt sich an, jeder sagt der Frau hinter der Theke, was er essen möchte. „Suppe gibt es eigentlich immer“, sagt Dmitrij und stellt sein Schälchen aufs Tablett. Dazu bekommt er einen Teller mit Kotleti und Gretschka. Kotleti sind Frikadellen, Gretschka ist Buchweizen – eine typisch russische Beilage, so wie es anderswo Reis, Kartoffeln oder Nudeln sind.

Interessant ist auch der Trinkbecher, den sich Dmitrij aussucht. „Kompott“ sagt er und nimmt einen Schluck, denn in Russland ist Kompott kein Wort für gekochte Früchte, sondern für einen sehr süßen Saft, in dem manchmal noch kleine Obststückchen schwimmen.

Wenn an Dmitrijs Schule die Pause beginnt, hört man keinen Gong. Über die Lautsprecher kommen stattdessen die ersten Töne eines bekannten Liedes. Pause heißt hier auch nicht, dass alle auf den Hof rennen. An vielen Schulen ist es üblich, dass man die Pausen im Flur vor dem Klassenzimmer oder im Treppenhaus verbringt, während die Lehrer aufpassen.

SMS an die Eltern

So, wie die Schüler nicht einfach aus dem Gebäude rausdürfen, dürfen andere Leute nicht einfach rein. In der Eingangshalle stehen Drehkreuze aus Metall und öffnen sich nur, wenn man eine spezielle Karte an sie hält.

Wenn ein Kind morgens mit seiner Karte das Drehkreuz öffnet und ins Schulgebäude geht, bekommt seine Mutter oder sein Vater eine SMS: „Ihr Kind ist gut angekommen!“ Genau so auch am Ende des Schultags. Drehkreuz auf, SMS an die Eltern: „Ihr Kind ist jetzt auf dem Heimweg“. Solche Drehkreuze gibt es zwar nicht an jeder Schule in Russland, in Moskau sieht man sie aber oft.

Das Schulgebäude ist weder besonders neu noch besonders alt. An den Wänden hängen bunte Plakate aus der Zeit, als Dmitrij noch nicht mal geboren war. Da steht zum Beispiel drauf, dass man seine Hausaufgaben alleine machen soll – ohne Hilfe von Oma. Dass man sich im Musikunterricht anstrengen soll. Oder dass man im Haushalt mit anpacken soll.

Für Dmitrij ist das sowieso selbstverständlich: Wenn er abends, nach dem Schwimmtraining, nach Hause kommt, geht er in die Küche und macht sich das Essen warm, das seine Mutter ihm morgens vorgekocht hat. Spätestens um Mitternacht liegt er dann im Bett. Schließlich will er morgen wieder um 8 in der Schule Nummer 1955 sein.