Andreas Deja „Ich bin ein Schauspieler mit Bleistift“

Anne Kraushaar

Andreas Deja war lange Chefzeichner bei den Disney- Studios in Hollywood. Als Gast auf dem Internationalen Trickfilm-Festival Stuttgart hat er uns von dieser Zeit erzählt.

Kennst du den machthungrigen Löwen Scar aus dem Trickfilm „Der König der Löwen“? Den unheimlichen Magier Jafar aus „Aladdin“? Den Meereskönig Triton aus „Arielle“? Oder den hinterhältigen Gaston aus „Die Schöne und das Biest“? All diese Figuren und viele mehr entstammen aus der Feder von Andreas Deja. Er war von 1980 bis 2010 Chefzeichner bei den Disney Studios in Los Angeles. Mit Bleistift und Papier hat er dort so vielen berühmten Trickfilm-Charakteren Leben eingehaucht, dass ihm die Walt Disney Company die Auszeichnung „Disney Legend“ verlieh, mit der sie Künstler ehrt, die außergewöhnliche Beiträge zu ihren Filmen geleistet haben.

Können Sie sich erinnern, wann Sie das erste Mal einen Zeichentrickfilm gesehen haben?

Andreas Deja: Ja, ich war elf Jahre alt, als ich in einem Kino in Dinslaken am Niederrhein meinen ersten Disney- Film gesehen habe: „Das Dschungelbuch“. Dass es Zeichnungen gibt, die sich bewegen und Gefühle haben, hat mich wahnsinnig fasziniert. Dieses „Dschungelbuch“-Erlebnis hat mein Leben in eine bestimmte Bahn gelenkt.

Wenig später haben Sie an die Disneystudios geschrieben. Worum ging es da?

Andreas Deja: Ich wollte die Macher des Films fragen, wie ich mich vorbereiten kann, um später mal bei Disney zu arbeiten. Mein Englischlehrer hat mir geholfen, diese Frage zu formulieren. Als Adresse habe ich einfach Walt Disney Productions, Los Angeles, Kalifornien geschrieben. Nach zwei Wochen bekam ich eine Antwort. Auf dem Briefumschlag war eine Mickey Mouse mit weit aufgerissenen Armen abgebildet und in der Mitte stand Walt Disney Productions. Das war ein besonderer Moment für mich. Auf einmal war das Studio nicht mehr nur eine Idee, sondern ganz echt.

Haben Sie eine Antwort auf Ihre Frage erhalten?

Andreas Deja: Ja. Der wichtigste Tipp war, dass sie mir sagten: Wenn du dich später bei uns bewerben willst, dann nicht mit Zeichnungen von Mickey Mouse und Pluto. Das bringen wir dir dann bei. Jetzt musst du erst mal Künstler werden und deine Umwelt beobachten. Zeichne deine Geschwister, deine Eltern und studiere die Bewegungen der Tiere im Zoo. Finde deinen Blick als Künstler. Das war für mich neu. Ich dachte, es reicht, wenn man eine gute Mickey Mouse zeichnen kann.

Sind Sie diesem Ratschlag gefolgt?

Andreas Deja: Ja, ich habe viel im Zoo gezeichnet und später einen Kurs zum Aktzeichnen belegt, also dem Zeichnen des nackten menschlichen Körpers, dessen Eigenschaften man als Trickfilmzeichner auch gut kennen muss. Als ich nach meinem Grafikstudium erfuhr, dass Disney ein Ausbildungsprogramm für Zeichner anbot, schickte ich eine Auswahl meiner Bilder dorthin. Die Antwort kam von Eric Larson, einem der ganz großen Disney-Zeichner, der unter anderem das „Dschungelbuch“ gemacht hatte. Er schrieb: „Ich glaube, du hast das Zeug dafür.“ Kurze Zeit später begann ich das Trainingsprogramm. Danach wurde ich bei Disney angestellt.

Als Chefzeichner waren Sie dort bald für die Entwicklung vieler berühmter Figuren verantwortlich. Wie sah dieser Arbeitsalltag aus?

Andreas Deja: Am Anfang bekam ich das Storyboard zu sehen, das ist wie ein großer Comicstrip, in dem die Geschichte erzählt wird und die Figuren grob umrissen werden. Außerdem bekam ich Tonaufnahmen, in denen Schauspieler die Texte der Figuren eingelesen hatten. Aus diesen Informationen formte ich dann meine eigene Idee für die Figur und sprach mich dafür eng mit dem Regisseur ab. Schließlich half mir ein Team von vier bis fünf Leuten, die Figur für den ganzen Film zu animieren, also Bilder für jede einzelne Bewegung zu erstellen. Um einen Charakter gut hinzubekommen, muss man sich aber vor allem tief in seine Gefühlswelt hineinversetzen.

Ein bisschen so wie ein Schauspieler?

Andreas Deja: Genau! Das Zeichnen ist eigentlich zweitrangig, denn in erster Linie muss man sich genau in die Figur hineinfühlen und wissen, was sie in jeder einzelnen Szene empfindet. Wir nennen Trickfilmzeichner deshalb auch „actors with a pen“, also Schauspieler mit einem Bleistift.

Zugleich wird größten Wert auf die Zeichnungen gelegt. Für die Dreharbeiten zu „König der Löwen“ soll Disney sogar mal echte Löwen ins Studio gebracht haben, damit die Zeichner ein Gefühl für sie entwickeln konnten.

Andreas Deja: O ja, das war aufregend! Die Tiere saßen ganz frei in der Mitte des Raums. Bei dem Löwenbaby haben wir alle „süß!“ gerufen, bei der zweijährigen Löwin wurden wir schon stiller und als dann ein ausgewachsener Löwe hereinkam, sind wir erst mal zurückgewichen. Man spürt diese majestätische Ausstrahlung eines Löwen erst so richtig, wenn man ihm gegenübersteht. Als wir dann in die Mähne greifen durften, hab ich mir im letzten Moment gesagt: Nimm vorsichtshalber die linke Hand, die rechte brauchst du noch zum Zeichnen.


Andreas Deja wurde 1957 in Polen geboren und wuchs in Deutschland auf. Jetzt hat er auf dem Trickfilm- Festival seinen Animationsfilm „Mushka“ vorgestellt, in dem ein Mädchen einen Sibirischen Tiger aufzieht. Die Musik dafür stammt von Richard Sherman, einem der Komponisten für das „Dschungelbuch“. „Wenn mir als Kind jemand gesagt hätte, du wirst mal bei Disney arbeiten und außerdem einen Film drehen, für den der Komponist des ‚Dschungelbuchs‘ die Musik macht – ich hätte ihm nicht geglaubt.“