Gina Lückenkemper „Nach 200 Metern ist bei mir Schluss“

David Sahay, Nadia Köhler

Die Leichtathletik-Europameisterschaft findet dieses Jahr in Deutschland statt. Vom 7. bis 12. August wird in Berlin gerannt, geworfen und gesprungen. Mit dabei: die 100-Meter-Sprinterin Gina Lückenkemper, der neue Star unter den deutschen Athleten.

Gina, hast du schon mal was geklaut und bist dann ganz schnell weggelaufen?
Gina Lückenkemper: (Lacht) Nein, das habe ich noch nicht gemacht. Aber ich habe, ehrlich gesagt, schon mal darüber nachgedacht. Wenn ich mit meiner Mama shoppen gehe und wir sehen etwas, was wir beide richtig gut finden, und dann schauen wir auf den Preis ... Dann denken wir manchmal schon: Hhm, drei Minuten Angst, dann hätten wir’s ...

Wie weit würdest du in diesen drei Minuten kommen?
Gina Lückenkemper: Weit genug! Ich könnte etwa 22 Sekunden Vollgas geben, danach würde ich langsamer. Dann würde ich mich halt irgendwo verstecken. Aber in 22 Sekunden kann man schon um einige Ecken laufen ...

Und wie schnell läufst du zehn Kilometer?
Gina Lückenkemper: Ich bin Kurzsprinterin, da ist nach 200 Metern Ende.

Wie und wie oft trainierst du?
Gina Lückenkemper: Sechs- bis achtmal in der Woche. In meinem Training geht es nicht darum, möglichst viele Kilometer zu laufen. Sprinten hat extrem viel mit Technik zu tun. Das glaubt man oft gar nicht, weil man denkt ja: Die läuft doch einfach nur. Wenn ich technisch sauber laufe, kann ich auch schnell rennen. Dafür brauche ich nicht unbedingt ganz viel Kraft. Darum konzentrieren wir uns gerade vor allem darauf, die Lauftechnik zu trainieren.

Du bist seit 26 Jahren die schnellste Frau Deutschlands. Wie früh war dir klar, was für ein Talent du bist?
Gina Lückenkemper: Als ich mit der Leichtathletik angefangen habe, war schon früh klar, dass ich ein gewisses Talent fürs Sprinten mitbringe. Ich würde mich aber niemals als Wunderkind bezeichnen. Ich bin einfach nur ein Mensch, der schnell rennen kann, andere Menschen können dafür andere Dinge besser. Ich habe eben einfach eine Veranlagung zum schnellen Laufen, wurde dementsprechend gefördert und habe mit meinem Trainer das Beste daraus gemacht.

Und kannst du vom Laufen leben?
Gina Lückenkemper: Ich habe Leichtathletik nie wegen des Geldes gemacht. Trotzdem kann ich heute davon leben. Da muss man aber wirklich großes Glück haben, wenn man von etwas leben kann, was man eigentlich als Hobby angefangen hat.

Was willst du noch unbedingt in deiner Karriere erreichen?
Gina Lückenkemper: Finalteilnahmen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. Und natürlich würde ich da auch gerne mit um die Medaillen rennen. 

Was erhoffst du dir von der EM in Berlin?
Gina Lückenkemper: In Berlin sollte die ein oder andere Medaille her. Nicht nur mit der Staffel, sondern auch im Einzel.

Du reitest auch gerne. Wie oft schaffst du es noch zu deinem Pferd Picasso?
Gina Lückenkemper: Wenn ich zu Hause bin, versuche ich schon, jeden Tag hinzufahren. Ich reite ihn dann nicht immer, manchmal putze ich ihn auch nur – aber ich möchte ihm schon gerne jeden Tag einmal „Hallo“ sagen. Das ist mir einfach wichtig, denn es geht um ein Lebewesen, für das ich verantwortlich bin und für das ich mich entschieden habe.

Was bedeutet dir Picasso?
Gina Lückenkemper: Ich habe Picasso im März 2016 das erste Mal gesehen. Eigentlich wollte ich kein Pferd kaufen. Aber dann habe ich ihn gesehen und gesagt: „Der ist es, und der muss es sein.“ Ich habe aber echt lange überlegt, ob ich mir wirklich während meiner aktiven Leichtathletik-Karriere ein Pferd kaufen soll. Doch jetzt bereue ich es kein bisschen. Der Picci tut mir so wahnsinnig gut, weil ich im Stall und in der Natur abschalten kann und den kompletten Trubel vom Leistungssport einfach vergessen kann. An manchen Tagen fahre ich mit Kopfschmerzen in den Stall, dann fange ich an, das Pferd zu putzen, und die Kopfschmerzen sind weg.


Steckbrief: 10,95 Sekunden für 100 Meter – das ist in Deutschland seit 1991 keiner Frau mehr gelungen. Gina Lückenkemper ist diese Zeit bei der WM in London 2017 gelaufen. Warum sie so schnell laufen kann, begründet die lustige 21-Jährige so: „Meine Mama hat mich mit Hausarbeit geärgert, da bin ich schnell weggelaufen.“ Obwohl sie immer bekannter wird, bleibt Gina Lückenkemper locker: Manchmal isst sie während des Wettkampfes Bratwurst oder tanzt vor dem Start.

Wir haben Gina Lückenkemper im Training und beim Reiten begleitet. Hier geht es zur Multimedia-Reportage.