Jonas Lossau „Manche Lebensmittel müssen wir aus einem Flugzeug abwerfen“

Maresa Stölting

Das Welternährungsprogramm (WFP) wurde gerade mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Der Deutsche Jonas Lossau arbeitet für das WFP im Südsudan und erzählt im Interview, wie er sich gegen den Hunger dort einsetzt.

Herr Lossau, Sie arbeiten derzeit im Südsudan. Welche Aufgaben haben Sie dort?

Ich arbeite in einem sogenannten WFP-Feldbüro in Malakal. Von hier aus unterstützen wir rund eine halbe Million Menschen in Not mit Ernährungshilfe. Ich organisiere die Verteilung von Nahrungsmitteln in 51 Orte. Das ist nicht ganz einfach, denn wir unterstützen viele Menschen in entlegenen Gebieten, zu denen es keine Straßen gibt. Daher müssen wir die Nahrungsmittel oft mit dem Boot oder Hubschrauber transportieren oder sogar aus einem Flugzeug abwerfen.

Wie leben Sie vor Ort?

Hier im Malakal-Feldbüro arbeiten 47 Frauen und Männer. Die meisten kommen aus dem Südsudan. Wir leben in einem Camp in Wohncontainern, weil im nahe gelegenen Ort vom Bürgerkrieg sehr viel zerstört wurde. Dort im Camp leben auch knapp 30 000 Binnenvertriebene – also Menschen, die innerhalb ihres eigenen Landes fliehen mussten. Wegen des Bürgerkriegs haben die Menschen im Camp der Vereinten Nationen Schutz gesucht.

Was prägt Ihre Arbeit vor Ort?

Am meisten beeindrucken mich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Südsudan. Sehr viele Teile des Landes waren in den vergangenen Jahrzehnten von Kämpfen betroffen. Unter diesen Umständen sind auch viele unserer Kollegen groß geworden. Manche sind in Flüchtlingscamps in Nachbarländern aufgewachsen. Nun sind sie in ihr Heimatland zurückgekehrt, um sich dort für die Bevölkerung zu engagieren. Viele ihrer Familien leben in den umliegenden Nachbarländern, und sie können sie nur wenige Male im Jahr sehen. Für viele ist das WFP nicht nur ein Arbeitgeber. Einige Kollegen und ihre Familien haben selbst einmal WFP-Ernährungshilfe bekommen – zum Beispiel Essen in der Schule. Von manchen Kollegen leben auch Familienmitglieder als Schutz suchende Binnenvertriebene hier im Camp. Wie sich unsere südsudanesischen Kollegen trotz all dem täglich für die Unterstützung der Bevölkerung einsetzen, beeindruckt mich immer wieder sehr.

Wie genau hilft das WFP den Menschen im Südsudan mit Lebensmitteln?

Wir verteilen vor allem Grundnahrungsmittel, dazu zählen etwa Hirse, getrocknete Bohnen oder Erbsen, Pflanzenöl und Salz. Zudem unterstützen wir Kinder mit Schulspeisungen. Diese Mahlzeiten helfen dabei, dass mehr Kinder in die Schulen kommen, dass sie besser lernen und dass sie die Schule nicht abbrechen. Zudem unterstützen wir Kinder und ihre Mütter bei der Vorbeugung und Behandlung von Mangelernährung. Denn viele Kleinkinder, schwangere Frauen oder stillende Mütter sind unterernährt, weil sie zu wenig Energie und kaum Nährstoffe mit dem Essen bekommen. Dafür haben wir spezielle Nahrungsmittel mit hohem Nährwert, etwa eine Art Erdnussbutterpaste, die mit wichtigen Nährstoffen versehen wurde.

Wie unterstützt das WFP die Menschen noch?

Zum Beispiel helfen wir dabei, die wichtigen Zugangsstraßen wiederherzustellen, Deiche für den Hochwasserschutz zu bauen, Bäume zu pflanzen und den Gemüseanbau weiter auszubauen. So weit wie möglich kaufen wir die Nahrungsmittel in großen Mengen vor Ort oder in der Region. Viele Nahrungsmittel kommen aus Nachbarländern, etwa Hirse aus dem Sudan. Wir haben auch kleine Projekte, in denen wir Bauern von hier ihre überschüssige Ernte abkaufen und sie so unterstützen.

Wie wirkt sich die Corona-Krise auf das Land aus?

Die offiziellen Zahlen der Covid-19-Erkrankten und Todesfälle sind im Südsudan vergleichsweise niedrig. Dennoch hat die Pandemie starke Auswirkungen. Obwohl es hier keinen langfristigen, kompletten Lockdown gab, sind die meisten Schulen bis heute geschlossen. Die Beschränkungen haben sich auch auf den Transport von Essen aus den Nachbarländern ausgewirkt. Es konnten weniger Lebensmittel hierher gebracht werden. Deshalb ist das Essen teurer geworden.

Und wie beeinflusst die Pandemie Ihre Arbeit?

Wir halten uns natürlich auch an die Schutzmaßnahmen, damit sich das Virus nicht weiter verbreiten kann. Zum Beispiel tragen wir Mundschutz, beachten Hygieneregeln und halten Abstand. In unserer Arbeit hat sich einiges verändert. Aber wir müssen natürlich weitermachen, da viele Menschen in Not auf uns angewiesen sind. Wir organisieren jetzt zum Beispiel die Verteilung von Nahrungsmitteln ganz anders, damit es keine Menschenmassen gibt und alle Abstand halten können. Wir haben Stationen zum Händewaschen aufgebaut und informieren die Menschen, was sie tun können, um gesund zu bleiben. Normalerweise wären meine Kollegen und ich mehr unterwegs und würden uns mehr mit der Bevölkerung, unseren Partnern und den lokalen Behörden treffen. Aber wegen Covid-19 haben wir unsere Reisen auf ein Mindestmaß beschränkt.


Über das Welternährungsprogramm:

Jahr für Jahr versorgt das Welternährungsprogramm (abgekürzt WFP für „World Food Programme“) etwa 100 Millionen Menschen in aller Welt mit Essen. Dafür sind mehr als 17 000 Helfer im Einsatz. Hunger und Krieg sind eng miteinander verbunden. Das Nobelpreiskomitee hat auch deshalb das WFP ausgezeichnet, weil es sich für Frieden und gegen den Hunger als Waffe einsetzt. Denn Menschen auszuhungern, um dann in ihre Gebiete einzudringen, sei eine der ältesten Waffen der Welt. Darum sei das WFP auch ohne die Corona-Krise ein würdiger Preisträger – in diesen Zeiten aber umso mehr. So wurde die Entscheidung für das Welternährungsprogramm als Friedensnobelpreisträger begründet. Das Welternährungsprogramm gehört zu den Vereinten Nationen (UN). Fast alle Staaten dieser Erde sind Mitglieder der UN. Diese Organisation setzt sich für den Frieden, die freundschaftliche Zusammenarbeit der Länder und für den Schutz der Menschenrechte ein.

Über Jonas Lossau:

Der 28-Jährige kommt aus Göttingen (Niedersachsen). Er hat Internationale Beziehungen und Katastrophenhilfe studiert. Durch Praktika lernte er die Arbeit von Hilfsorganisationen kennen. Für das WFP hat er bereits in der Zentrale in Rom gearbeitet, dann im Sudan. Die Nachricht vom Friedensnobelpreis erreichte ihn völlig unerwartet im Südsudan: „Seit Jahrzehnten arbeiten wir in den Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt unter sehr schwierigen Umständen. Oft können unsere Mitarbeiter ihre Familien für lange Zeit nicht sehen und sind Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt. Diese Verleihung ist eine tolle Anerkennung für unsere Arbeit.“