Justin Philadelphia „Der Zirkus ist mein Zuhause“

Amelie Binder

Aufwachsen im Zirkus? Das ist das Leben des 17-jährigen Justin Philadelphia. Im Circus Roncalli trainiert er schon seit Jahren für seinen eigenen Auftritt in der Manege.

Hallo Justin, trittst du schon mit einer eigenen Nummer im Zirkus auf?
Justin: Dieses Jahr nicht. Ich bin in der Show dabei, mache aber nur Kleinigkeiten, wie zum Beispiel mit den anderen Artisten einlaufen. Falls bei einer Show ein Artist ausfallen sollte, könnte ich aber jederzeit einspringen, das habe ich auch schon mal gemacht. 2026 haben wir 50-jähriges Jubiläum. Wer weiß wie die Show dann aussieht, vielleicht habe ich dann meine eigene Nummer. Da freue ich mich schon drauf! Davor möchte ich aber erst mal wichtige Sachen abschließen, wie zum Beispiel meinen Führerschein.

Wie bist du zu deiner eigenen Artistennummer gekommen?
Justin: Schon als kleines Kind habe ich angefangen in der Manege zu turnen. Und die Artisten haben mich viel ausprobieren lassen. Irgendwann hat sich daraus eine eigene Nummer entwickelt: die Flying Pole. Das ist eine mit Gummi überzogene Stange, die an einem Stahlseil befestigt ist und daran nach oben gezogen wird. Mit der Stange steige ich in die Luft hoch und mache daran mein akrobatischen Bewegungen. Ich habe vor zwei Jahren damit angefangen und es macht mir immer noch Spaß.

Wie oft trainierst du?
Justin: Aktuell habe ich viel Zeit, um mit meiner Mutter zu trainieren. Sie hat mir alle akrobatischen Übungen wie Saltos und Flickflacks beigebracht. Aber mit ihr zu trainieren kann manchmal schwer sein. Ich zanke mich zum Beispiel mit ihr und versuche mit ihr zu diskutieren.

Hast du Angst, während du in der Luft schwebst?
Justin: Das Risiko ist immer ein kleiner Gedanke im Hinterkopf. Diesen grundsätzlichen Respekt muss man für eine Luftnummer haben. Er ist da, aber irgendwie auch nicht, weil es mir so viel Spaß macht. Diese zwei Gedanken sind in meinem Kopf. Ich bin sehr konzentriert und muss wirklich immer 100 Prozent geben, wahrscheinlich sogar mehr.

Wie sieht dein Alltag aus?
Justin: Manchmal gehe ich morgens nach dem Aufstehen ins Fitnessstudio. Dort kann ich die Kraft, die ich für meine Nummer benötige, trainieren. Später bereite ich mich auf die Nachmittags-Show vor und schminke mich. Schon an deren Ende fange ich an mich aufzuwärmen, sodass ich in der Pause zwischen den beiden Shows mit meiner Mutter etwa zwei Stunden trainieren kann. Wenn alle Zuschauer nach der Abend-Show weg sind, trainiere ich noch mal für drei Stunden im Zelt. Dann ist es ruhiger. Die Tage gehen immer schnell vorbei.

Wie funktioniert das mit der Schule bei dir?
Justin: Dieses Jahr habe ich die Schule abgeschlossen. Ich bin auf die Zirkusschule Nordrhein-Westfalen gegangen und hatte den Online-Unterricht. Wenn der Zirkus in Köln war, bin ich auf eine normale Schule gegangen. Dann war es natürlich schön, persönlichen Kontakt mit anderen Kindern zu haben. Der ständige Online-Unterricht war– wie beispielsweise bei anderen Schülern in der Coronazeit – sehr distanziert.

Was ist für dich das Besondere am Leben im Zirkus?
Justin: Dass er mein Zuhause ist! Wenn mich jemand fragt, ob ich in Köln oder in einer anderen Stadt zuhause bin, würde ich antworten: „Nein, für mich ist wirklich der Zirkus mein Zuhause“. Ich bin seit meiner Geburt hier und kenne kein anderes Leben. Ich freue mich, dass ich hier sein darf! Ich kenne die meisten Menschen im Zirkus schon seit ich klein bin, und die meisten kennen mich. Außerdem ist man immer auf Trab. Hinten im Zelt, bei den Artisten, und mit den anderen Zirkuskindern gibt es immer etwas Neues und Lustiges. Das ist abwechslungsreich. Das gefällt mir.

Welche Zukunftspläne hast du?
Justin: Mein Plan ist es, im nächsten Jahr eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann zu machen. Das möchte ich als Absicherung haben, um auch etwas anderes machen zu können, falls es mit dem Artistenleben nicht klappen sollte. Ich versuche damit bis 2026 fertig zu sein. Ich glaube, ich schaffe das. Meine Schwester ist ein Vorbild für mich, weil sie all das schon geschafft hat. Ich möchte aber gerne im Zirkus bleiben und gemeinsam mit ihr als Artist arbeiten.


Justin Philadelphia Der 17-Jährige reist schon sein ganzes Leben mit dem Zirkus umher. Auf dem Zirkusgelände hat er seinen eigenen Campingwagen. Darin befinde sich alles, was er brauche, sagt Justin. Wenn er nicht für seine Artistennummer trainiert, spielt er gerne Videospiele oder trifft sich mit Freunden. Es gefällt ihm, neue Städte zu erkunden und dort Menschen kennenzulernen. Trotzdem freut er sich auch immer wieder auf seine Freunde in Köln, der Heimatstadt des Zirkus. Justins Schwester Geraldine ist ebenfalls Artistin. Seit fast drei Jahren lebt und arbeitet sie bei einem Zirkus in Las Vegas (USA) und tritt als Hula-Hoop-Artistin auf.