Tom Bartels, Fußballkommentator „Mein Traumfinale: Deutschland gegen Spanien“

Maresa Stölting

Wenn du gerne Fußball schaust, dann kennst du bestimmt die Stimme von Tom Bartels. Er ist Sportmoderator und -kommentator und wird auch bei der EM einige Male zu hören sein. Unseren Kinderreportern Henri (12) und Ole (12) hat er verraten, wie sein Arbeitsplatz aussieht.

Ole: Wie bereiten Sie sich auf ein Spiel vor, das Sie kommentieren?

Tom Bartels: Das ist unterschiedlich. Wenn ich die deutsche Mannschaft kommentiere, kenne ich natürlich alle Spieler ziemlich gut. Ich habe sie ja schon seit Jahren verfolgt, in der Bundesliga und bei Länderspielen. Aber ich kommentiere zum Beispiel auch ein Spiel der Slowakei, da kenne ich nicht jeden Spieler zu 100 Prozent. Manche von ihnen spielen in Deutschland, aber viele auch in anderen Ligen, die man nicht so verfolgt. Dann muss ich mir Videos anschauen von der Mannschaft, mich über die Spieler schlau machen, Infos besorgen. Dafür spreche ich mit Leuten, die ich im Laufe meiner Berufslaufbahn kennengelernt habe und die sich gut in der Slowakei auskennen. Bei der EM sind natürlich jede Menge Mannschaften, ich werde nicht jede kommentieren. Aber wen ich nach der Vorrunde noch alles treffen könnte, weiß ich jetzt noch gar nicht. Darum muss ich mich mit allen Mannschaften grob beschäftigen.

Ole: Welche Informationen sammeln Sie denn?

Tom Bartels: Ich bekomme eine 100-seitige Mappe. Darin sind Statistiken, aber auch viele Infos über die Spieler. Als Kommentator frage ich mich dann: Was brauche ich für das Spiel? Was ist für den Zuschauer interessant? Die wichtigsten Infos schreibe ich mir dann auf einen Zettel, dadurch kann ich mir das automatisch besser merken.

Henri: Was schreiben Sie dann zum Beispiel auf?

Tom Bartels: Als erstes EM-Spiel kommentiere ich Niederlande gegen Ukraine. Dann habe ich einen Zettel Mannschaft. Darauf steht zum Beispiel: Niederlande – Europameister 1988, zum zehnten Mal dabei, Trainer ist Frank de Boer. Ukraine – noch nie Europameister, zum dritten Mal dabei, Trainer ist Andriy Shevchenko. Dann schreibe ich mir Kurzporträts zu den Trainern: Für welche Vereine haben die gespielt? Wie gut waren die? Wie viele Länderspiele haben sie schon gemacht? Dann schreibe ich mir einen Spielplan: Gegen welche Mannschaften spielen sie noch? In welchem Stadion wird gespielt? Zu dem brauche ich auch ein paar Infos. Und dann schreibe ich mir eine Aufstellung der ersten Elf auf, die ich für wahrscheinlich halte, vom Torwart ganz oben bis zum Mittelstürmer unten. Zu jedem Spieler schreibe ich mir die wichtigsten Infos. Nehmen wir zum Beispiel einen Spieler, der ein halbes Jahr verletzt war, dann steht da: Kreuzband-Verletzung rechtes Knie. Warum? Wenn der am Boden liegt und sich das Knie hält, weiß ich sofort: Ah! Das ist das Knie, wo er die Verletzung hatte.

Henri: Das hört sich nach viel Arbeit an.

Tom Bartels: Das ist in der Tat viel Arbeit – aber es schauen ja auch viele Menschen zu. Wenn du etwas machen würdest, bei dem zehn oder zwanzig Millionen Menschen zuschauen, dann denkst du vermutlich auch: Da bin ich besser gut vorbereitet. Nicht, dass einer zu Hause denkt: Das stimmt ja alles gar nicht, was der da erzählt. Das weiß ich viel besser, weil ich mich mit der Mannschaft gut auskenne. Die Zuschauer kennen sich zum großen Teil sehr gut aus, und da sollte der Reporter schon ein bisschen mehr wissen.

Ole: Wie sieht es in einer Kommentatorenkabine aus?

Tom Bartels: Ganz viele glauben, dass ich in einer Kabine sitze – aber wir sitzen tatsächlich draußen auf der Tribüne. Wegen Corona bin ich durch Plastikwände links und rechts abgegrenzt von den Kollegen anderer Nationen – da sitzen zum Beispiel Japaner, Engländer, Franzosen. Zwei Monitore stehen vor mir. Einer zeigt das Spiel, der andere die Sendung. In der Halbzeit geben wir ja immer ins Studio, wo der Moderator mit den Experten steht. Da sehe ich, was die gerade machen. Vor mir steht außerdem eine technische Box, an der hängt der Kopfhörer mit dem Mikro. Über Tasten auf der Box kann ich mich zum Beispiel mit dem Regisseur und meinem Assistenten austauschen: Meinst du auch, das war ein Elfmeter? War das eine Rote Karte, wie siehst du das? Dann können wir uns kurz abstimmen, ohne dass die Zuschauer uns hören. Und dann habe ich idealerweise noch Platz, um meine Notizen vor mich zu legen.

Henri: Was denken Sie – welche Mannschaften kommen ins Finale?

Tom Bartels: Wenn man sich die Ergebnisse der letzten Spiele angeschaut hat, aus der Nations League und der Qualifikation, dann sind die Prognosen unglaublich schwierig. Erst recht in diesen Coronazeiten, wo viele Spieler echt ausgelaugt ankommen werden, weil sie einen unglaublichen Spielrhythmus hatten. Meine fünf Topmannschaften sind England, Frankreich, Deutschland, Spanien und Belgien. Mein Wunschfinale wäre Spanien gegen Deutschland. Ich traue das den Deutschen auch zu.

Henri: Aber wer gegen Nordmazedonien verliert, der kann auch gegen Ungarn verlieren.

Tom Bartels: Haha, da hast du vollkommen recht. Nachdem die deutsche Nationalmannschaft 0:6 gegen Spanien verloren hatte, dachte ich, die Mannschaft ist gewarnt, das passiert nicht noch mal. Und dann verliert sie gegen Nordmazedonien. Auch wenn die Deutschen besser als Nordmazedonien gespielt haben, haben sie ihre Chancen nicht genutzt. Trotz der WM 2018, die sehr enttäuschend war, glaube ich, dass der Mannschaft so etwas bei dieser Europameisterschaft nicht wieder passiert.


Tom Bartels (55) arbeitete als Kommentator und Moderator schon bei verschiedenen Fernsehsendern. In seiner Jugend war Borussia Mönchengladbach sein Lieblingsverein. Heute kennt er sehr viele Spieler und Trainer persönlich, hat aber kein Lieblingsteam mehr. Stattdessen freut er sich, wenn es für die Spieler, die er gerne mag, gut läuft. „Auch wenn man das den Kommentaren hoffentlich nie anhört“, sagt er. 2014 kommentierte er das WM-Finale Deutschland gegen Argentinien. Viel aufgeregter war er aber bei seinem ersten Livespiel – DFB-Pokal 1992/93, Stuttgarter Kickers gegen den Karlsruher SC – und beim ChampionsLeague-Finale 2001, Bayern gegen Valencia. „Da musste ich mich als Reporter beweisen und zeigen, dass ich der Sache gewachsen bin.“